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Als erstes widmet sich Helmut Ritter dem schon bekannten Welschisner Apfel. Dieser alte Baum ist nach den behutsamen Eingriffen im vergangenen Jahr vollkommen ruhig geblieben; er hat außerdem getragen und auf den ersten Schritt zu seiner Verjüngung nicht mit oft zu beobachtendem wildem Neutrieb reagiert. Wieder kommen die in jeder Jahreszeit vorteilhaften Holzleitern zum Einsatz. Sie verursachen keine Verletzungen - weder an kalten Händen, noch beim Baum, und damit sind wir schon beim ersten Schwerpunkt.

Sparsam und gezielt schneiden

Jeder Eingriff verursacht Wunden, die ein Baum erst einmal verkraften, d.h. abschotten und verschließen muss und auf die er oft mit verstärktem Neutrieb reagiert. Bei einem ausgewachsenen Exemplar macht die Rücknahme eines starken Astes vergleichsweise weniger aus als das Ausschneiden überflüssiger Triebe bei einem jungen Baum. Immer zu vermeiden sind nach oben weisende größere Wunden, da sie schutzlos der Witterung ausgesetzt sind. Schneehauben und stehendes Wasser verursachen schleichenden Pilzbefall am Holzkörper und damit den unvermeidlichen Tod des befallenen Astes. Selbst Wundverschluss ist in diesem Fall kein Heilmittel. Ein wichtiger Leitsatz von Helmut Ritter ist deshalb: Richtig gehandhabter und regelmäßiger Schnitt verhindert große Wunden!

Schon deshalb ist Helmut Ritter dem jahrzehntelang nicht mehr gepflegten Welschisner im vergangenen Jahr nicht rigoros zu Leibe gerückt, was nach Meinung mancher Teilnehmer wohl nahegelegen wäre. Heute entfernt er noch vereinzelten Überstand zur Vervollkommnung der Lichteinfallschneisen sowie Unterhang zur Fruchtholzerneuerung, damit gleichmäßiger Lichteinfall, Sonnenschutz und außerdem Ertrag erzielt wird. Auf die Motorsäge wird dabei mit einer kleinen Ausnahme verzichtet.

Langfristiges Ziel: Verjüngung und Stabilisierung der Krone

Besondere Aufmerksamkeit widmet Helmut Ritter einer Reihe augenscheinlich überflüssiger Jahrestriebe. Sie haben sich auf einem abgekippten Leitast gebildet, bei dem vorhandene Überbauung und Beschattung im letzten Jahr entfernt wurden. Mit ihrer Hilfe und Förderung soll langfristig ein neuer Leitast eingezogen und damit die gewünscht stabile Baumkrone wiederhergestellt werden. Dafür werden alternativ zwei günstig stehende Triebe ausgewählt, mittels Weiden auf Richtung und Steigungswinkel gebunden, die verbleibenden Jahrestriebe entfernt und dem gekippten Leitast mit entsprechendem Einkürzen seine künftige Aufgabe als begleitender Fruchtast zugewiesen.

Am Beispiel eines Jungbaumes demonstriert Helmut Ritter anschließend, wie man sich von Anfang an dem Ziel einer gesunden und tragfähigen Kronenstruktur nähert. Gerade der Oeschbergschnitt macht sich die Wuchskräfte des Baums zunutze, lenkt durch Wissen und Kniffe das Wachstum in die gewünschte Richtung und vermeidet durch Ausblenden bestimmter Knospenaugen unnötige Arbeit und damit verbundene Schnittwunden im folgenden Jahr.

Das Ziehharmonika-Prinzip: Von der Theorie zur Praxis

"Wenn man nicht sagen kann, warum man schneidet, sollte man es besser bleiben lassen." Mit diesem Satz leitet Helmut Ritter den theoretischen Teil ein, bei dem er anhand seiner Schautafeln in bewährter und unnachahmlicher Weise die Wachstumsgesetze, den erwünschten Kronenaufbau nach Oeschberg und dafür geeignete Erziehungs- und Schnittmaßnahmen, so auch den Umkehrschnitt erläutert. Selbst für Laien wird ersichtlich, dass die Oeschberg-Methode beim Kronenaufbau zwischen Astgerüst und Fruchtholz unterscheidet, die räumlich streng zu trennen sind und das auf Dauer des Baumlebens.

Immer wieder die Kardinalfrage:
Welche Triebe werden angeschnitten und eingekürzt und welche nicht?

Auch hier bleibt Helmut Ritter die Antwort nicht schuldig: Anzuschneiden sind jährlich grundsätzlich die Verlängerungstriebe aller tragenden Teile der Oeschbergkrone, also das Astgerüst. Dazu gehören in ihrer Funktion gleichberechtigt die Mitte und die vier Leitäste, sowie die jeweils an diesen außen, balkonmäßig angehängten drei begleitenden, aber dem Leitast und der Mitte stets untergeordneten Fruchtäste.

An der spindelförmig aufgebauten Mitte werden 4-5 in der Krone verteilte Fruchtäste durch wiederholtes Einkürzen so stabilisiert, dass sie das Leiteranstellen möglich machen. Das erleichtert Pflege und Ernte ungemein. Ansonsten weist die Mitte nur Fruchtholz aus. Abgesehen von der Rücknahme der Fruchtäste zum Leiterstellen an der Mitte sind es also maximal 17 Triebrückschnitte am ausgewachsenen Baum. Selbstverständlich ist immer das Ausblenden aller innen- und seitlichliegenden Augen am zurückgeschnittenen Jahrestrieb unterhalb des Anschnittauges.

Wieso werden die tragenden Kronenteile angeschnitten?

Man erhält das erwünscht stabile Astgerüst, verhindert damit das Abkippen dieser Triebe und bewahrt somit die Kronenform. Nicht angeschnitten wird grundsätzlich das Fruchtholz, mit dem die tragenden Kronenteile reichlich garniert sein sollten. Diese Triebe sollen durch den Behang umkippen und dadurch Fruchtknospen ansetzen. Das kann zunächst auch mit Flachbinden erreicht werden. Fruchtholz wird im Umtrieb alle vier bis fünf Jahre ausgewechselt. Das kann mit komplettem Entfernen einzelner Fruchtholzpartien oder durch Zurücknehmen einer abgehängten Fruchtbogenbildung erreicht werden.

Wie schränkt man die Baumkronenhöhe ein?

Das oft praktizierte ´Abdecken´ tragender Kronenteile (Ableiten auf flach stehende Kronentriebe) zur Höhenbegrenzung ist widernatürlich und nicht dazu geeignet, die Wuchshöhe eines Baumes auf Dauer zu halten. Der Eingriff führt insbesondere im Kronenbereich zu besenartigem Wildwuchs und begünstigt die oben liegenden flachen Astpartien. Früher oder später verkahlt der Baum im Basisbereich und man weiß sich kaum mehr zu helfen. Beispiele gibt es genug.
Eine für den Baum wesentlich humanere Methode ist es, Leitäste, Mitte und die daran angehängt begleitenden Fruchtäste bei Bedarf auf günstig stehende senkrechte Triebe oder Beiaugen zurückzusetzen, um die Krone nach Neuaustrieb wieder zu vervollständigen. Dies kann während eines Baumlebens immer wieder vollzogen werden und die Wundengrößen bleiben begrenzt. Zu berücksichtigen sind dabei immer die Erziehungsgrundsätze der Oeschbergkrone. So müssen z.B. die begleitenden Fruchtäste den Leitästen stets untergeordnet sein. Das Gesamtsystem ermöglicht durch die außen angehängten Fruchtäste den gewollt breiten Baum.

Wie oben, so unten

Nach dem Kronenaufbau geht es heute auch um die Auswahl geeigneter Wurzelunterlagen. Für Halb- und Hochstämme empfiehlt Helmut Ritter nur den Sämling als Unterlage. Er allein gewährleistet bei entsprechender Erziehung und Pflege den langlebigen Baum, der seinem Besitzer 60 bis 80 Jahre Freude bereiten kann. Ein auf Sämling aufgebauter Baum benötigt als Tiefwurzler nur in der Erziehungsphase den Baumpfahl. Sogenannte Typenunterlagen sind Flachwurzler und benötigen den Pfahl zeitlebens.
Typen-Bäume ohne Pfahl sind in der Natur schnell zu erkennen, da sie garantiert schräg stehen. Typenunterlagen kommen zwar schneller in Ertrag, doch bleiben die Bäume oft nach wenigen Jahren sitzen, weil sie gegenüber dem Sämling kurzlebig sind.

Erziehung spart Arbeit

Wie man gut erzogene Bäume schnell und mit wenig Aufwand in Schuss hält, sehen wir jetzt beim Rheinischen Bohnapfel und der Bayrischen Weinbirne. Beide stehen schon im dritten Jahr unter der aktiven Patenschaft von Helmut Ritter. Die Struktur steht, mit etwas Feinarbeit wird korrigiert und der Grundstein zum weiteren Aufbau und die nächste Ernte sind gelegt.

Danke

Wie immer haben wir von Helmut Ritter viel Neues gelernt oder bereits Bekanntes vertieft. Sei es durch seine hervorragend und einmalig kommentierte Praxis oder eine kurzweilige Lehrstunde in Theorie. Dafür ein herzlicher Dank an unseren Referenten! Wir freuen uns auf die nächste Exkursion unter seiner Leitung in den Melkersteich und hoffen, dass es auch im kommenden Jahr wieder klappt.
Wer diese logische Baumerziehung mit uns und durch Helmut Ritter kennenlernen oder sich darin vervollkommnen möchte, ist herzlich eingeladen. Bisher anwesende Gäste aus weiterem Umkreis und bis 180 km Entfernung bestärken unsere Handlungsweise. Damit konnten neben der Wissenserweiterung auch neue Freundschaften unter Obstbaufreunden geschlossen werden.
Wann es wieder so weit ist, lesen Sie in unserem Terminkalender.

 

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Der Welschisner Apfel nach erstem Rückschnitt und Verjüngung im Dezember 2009

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Der Baum im Sommerkleid 2010 mit reichem Fruchtbehang

 

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2010 vorher: tief verschneit

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2010 nachher: Hier wurde mehr als nur der Schnee entfernt

 

 

Unterhang: Einer der größeren diesjährigen Eingriffe

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Nach der Rücknahme

 

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Alles strebt zum Licht

Von diesen zahlreichen Jahrestrieben sind zwei für den Aufbau des neuen Leitasts bestimmt

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Eine anschauliche Einlage in Sachen Theorie

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Systemtafel zum Kronenaufbau nach der Oeschberg-Methode

 

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Die Struktur steht. Beim Rheinischen Bohnapfel ist nur noch Feinarbeit gefragt.

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... und in kurzer Zeit ist der Grundstein für die nächste Ernte gelegt.

 

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Oktober 2011: Vollertrag statt Wasserschosser! Der alte Welschisner kurz vor der Ernte. Er ist vollkommen ruhig geblieben, besitzt eine selbsttragende Krone, dazu ausreichend Sonnen- und Lichteintrag - und das ohne den oft zu beobachtenden Wildwuchs.

Eine Nachlese zum Oeschberg-Schnittkurs 2009 samt Wegbeschreibung zu unseren Musterbäumen finden Sie hier und auch zum Schnittkurs im November 2011 gibt es einen Bericht.