Bissingen. Gemeinsam an einem Strang ziehen sollten die Obst- und Gartenbauvereine sowie die Gütlesbesitzer, um ihre Interessen zu vertreten. Denn Probleme in den Obstbaumwiesen gibt es genügend. Wohin mit dem gemähten Gras, wohin mit dem Reisig? Wer kann die Bäume pflegen, wenn der Besitzer nicht mehr auf die Leiter steigen kann oder will?
Professor Dr. Christian Küpfer von der HfWU Nürtingen-Geislingen kennt die Anliegen der Obstbauern aus seinen wissenschaftlichen Forschungsarbeiten und Umfragen und er wusste aus eigener Erfahrung: "Vieles läuft nicht richtig." Dennoch wollte er in seinem Vortrag "Streuobst im Wandel der Zeit" Hoffnung machen und Möglichkeiten aufzeigen, "wie sich etwas ändern kann". Dabei lautete sein Lösungsansatz "kooperieren, organisieren, informieren".

1965 standen auf den Wiesen des Musterländles Baden-Württemberg 18 Millionen Obstbäume. Vier von fünf Bäumen waren prazzelvoll und nur wenige abgängig.
2008 zählten Experten im Lande neun Millionen Obstbäume. Nicht einmal drei Viertel von ihnen waren ertragsfähig und zwölf Prozent nicht mehr zu gebrauchen. Diese Zahlen nannte Prof. Dr. Küpfer vom Institut für angewandte Forschung (IAF) der HfWU bei einem Vortrag, organisiert von den Obst- und Gartenbauvereinen Bissingen, Neidlingen, Hepsisau und Weilheim.

Die Momentaufnahme zeigt den Wandel der Zeit im Streuobstanbau. Dabei ist vielen Obstbauern und Wiesenbsitzern heute völlig unklar, wie´s weitergeht. Für sie bedeuten die Wiesen und Bäume eine Menge Arbeit, die von den Jüngeren kaum noch jemand leisten will, und wenig Lohn.

 

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Kirchheim: Ausstellung Schwäbischer Fleiß 1951

Das war nicht immer so, wie Dr. Küpfer in Wort und Bild aufzeigte. In den 1950er-Jahren lautete die Devise in der Landwirtschaft "Auf jeden freien Raum, pflanze einen Baum." Denn Streuobstwiesen waren ökonomisch wertvoll. Das Gras konnte fürs Vieh verwendet werden, die Früchte brachten den Menschen noch gutes Geld und das Reisig war Feuermaterial für Backöfen und Herde.

 

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Bissingen: Obstablieferung in den 60er Jahren

Damals waren die Obstwiesen mit den kleinen Traktoren problemlos zu bearbeiten. Heute ist das mit den riesigen Schleppern nicht mehr möglich. Die Bäume stehen zu dicht. Außerdem veränderte sich auch die Betriebsstruktur in der Landwirtschaft. Arbeiteten in den 50ern und 60ern die große Familie mit Mägden und Knechten auf wenig Fläche, so bewirtschaften heute wenige Arbeitskräfte mit modernsten Maschinen große Flächen.

Doch am meisten macht den Freizeitobstbauern zu schaffen, dass sich die Pflege der Obstbäume nicht mehr rentiert. "Bei fünf Euro pro Doppelzentner ist nichts verdient." Wie eine Umfrage ergab, steigen deshalb nur neun Prozent der Stücklesbesitzer in Baden-Württemberg wegen des Verdienstes auf die Leiter. 65 Prozent, und das ist hauptsächlich die Kriegsgeneration, pflegen aus Wertschätzung vor dem Obst ihre Bäume. "Man lässt nichts verkommen." Der Streuobstexperte aus Nürtingen brachte es auf den Nenner: "Alte Männer pflegen alte Bäume".

Dem will der Professor, der selbst aus der Landwirtschaft kommt, mit verschiedenen Maßnahmen entgegentreten. So könnten die Abstände zwischen den Bäumen vergrößert werden, damit mit größeren Maschinen Gras gemäht werden könnte. Des Weiteren regte er an, Gütlesbesitzer sollten sich zusammentun und beim Schneiden der Bäume Hilfe von außen holen. Auch könnte so, etwa mithilfe von Landwirten, der Baumschnitt und das Mähgut abgefahren und gehäckselt werden. Was die Vermarktung der Früchte und des Saftes betrifft, so schlug Dr. Küpfer vor, die Interessen von Gütlesbesitzern, Landwirten, Obstvermarktern und Naturschützern zu bündeln. Außerdem setzte er auf einen größeren Informationsaustausch und plädierte für Koordinierungstellen im Landkreis; Werbung und Öffentlichkeitsarbeit sei ebenso wichtig. Vor allem müsse man die Enkel-Generation gewinnen.

Abschließend gab sich Professor Küpfer optimistisch, einen großen Teil der Obstbäume im Land erhalten zu können. "Die Regierung hat die Situation erkannt. Die Streuobstwiesen sind Baden-Württembergs Markenzeichen." So überlege das Land ein Zuschusssystem für die Zeit nach 2013, wenn das Programm Life Plus ausläuft.

Für die Obstbauern aus den Obst- und Gartenbauvereinen, die dem Vortrag des Experten mit Interesse folgten, war die Antwort klar: "Den Obstpreis subventionieren." Gut fand Dr. Küpfer Aktionen verschiedener Vereine, die Jungen zu gewinnen durch einen Unterricht im Grünen und spezielle Schnittkurse für Schüler. Ein Vereinsmitglied schlug vor, ähnlich der früheren Aktion Schulmilch, heute Direktsaft an die Schüler auszugeben. "Die Kinder können doch den Unterschied zwischen einer ´Chemiebrühe´ und einem Direktsaft gar nicht mehr unterscheiden."

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Öffentlichkeitsarbeit: Obsterzeuger beim Info-Nachmittag des OGV Bissingen

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Gemeinsam mehr erreichen: Pflanz- und Pflegeaktionen

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Den Nachwuchs begeistern: Schnittkurs des OGV im Grünen Klassenzimmer